Wie ich die Pflaumen des Riesen klaute

Ulf Stark

Ulf Starks autobiografische Kindheitserinnerungen eines besonderen Sommers

Übersetzt aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer

 

Verlag Urachhaus

93 Seiten

ISBN 978-3-8251-5222-2

Gebundene Ausgabe

Luchs des Monats Mai 2020
Luchs des Monats Mai 2020

Rezension aus der Süddeutschen Zeitung, 22. Mai 2020

Kindersommer: Klavier am Gartenzaun

Siggi Seuss

Ulf Starks autobiografische Kindheitserinnerungen erzählen von einem besonderen Sommer

 

Es gibt nicht allzu viele Bücher, für die es sich bereits beim ersten Durchblättern verbietet, Bemerkungen an die Seitenränder zu kritzeln »Als ich die Pflaumen des Riesen klaute« des 2017 verstorbenen großen schwedischen Erzählers Ulf Stark gehört dazu. Kritzeln verbietet sich allein aus dem einfachen Grund, dass das Buch von der Gestaltung her ein kleiner Schatz ist. Die Buchstaben sind in einer unaufdringlichen pflaumenblauen Tönung gesetzt, und selbst die pfiffigen Illustrationen von Regina Kehn strahlen eine Heiterkeit in dieser Grundtonart aus. Wenn man die gerade mal 90 Seiten dicke Kindheitsgeschichte liest, bewundert man zuallererst, wie federleicht Ulf Stark die einzelnen Erlebnisepisoden miteinander verstrickt. Alles hängt mit allem zusammen.

 

Es geht um heikle Ereignisse im Leben des Knaben Ulf im Alter von vielleicht neun, zehn Jahren. Die schwedische Landschaftsidylle können sich die Leser ohne Mühe dazu malen. Ulf Starks ruhiger und freundlicher Erzählfluss – den Birgitta Kicherer kongenial ins Deutsche übertragen hat – erinnert an die schnörkellose, das Wesentliche in wohl erwogene Worte kleidende Sprache anderer großer Erzähler der schwedischen Kinderliteratur wie Rose Lagercrantz, Ulf Nilsson oder Frida Nilsson.

 

Der kleine Ulf steckt fest in einem Sommer voller schwer zu lösender Rätsel. Die beginnen und enden mit dem unheimlichen Nachbarn, Herrn Oskarsson – riesengroß, laut und lebensgefährlich. Er wirkt auf Ulf und seinen besten Freund Bernt so, als wolle er Kinder bereits vor dem Frühstück verspeisen. Seltsam jedoch, dass sich Oskarsson völlig friedlich zeigt, wenn er am Gartenzaun steht und Mamas zarten Klaviertönen lauscht, die aus dem Fenster dringen. Ulf leidet zudem darunter, dass er fahrlässig eine Schwäche seines Freundes verraten hat und der seitdem nicht mehr mit ihm spricht. Und die dritte und bedeutendste Frage ist, wie man Mama wohl wieder motivieren kann, so fröhlich wie eh und je Klavier zu spielen. Nachdem ihr winziges Refugium in einer Waldhütte nach einem Sturm verwüstet worden war, scheint sie die Freuden des Lebens aus den Augen zu verlieren und nur noch Sinn im Hausputz zu finden.

 

Wie so oft in schwedischen Erzählungen offenbart sich fast wie von selbst hinter den begreifbaren und alltäglichen Nöten die Verletzlichkeit existenzieller menschlicher Tugenden im Kampf mit ihren Gegenspielern. Vertrauen versus Misstrauen, Wertschätzung versus Missachtung, Mitgefühl versus Selbstgerechtigkeit, Courage versus Angst. Wie Ulf Stark diese Grundfragen eines gedeihlichen Miteinanders in einer kurzen Sommergeschichte aus seiner Kindheit integriert, liest sich herzerquickend. Die große Kunst der kleinen Erzählung – Ulf Stark hat sie meisterlich beherrscht.